Zu den Papierperlen-Arbeiten

Dr. Maria Lucia Weigel | Kunsthistorikerin, Heidelberg

Ulrike Reichmann arbeitet seit 2009 mit handgefertigten Papierperlen. Ihr Interesse für diese Technik wurzelt in der eigenen Biographie; bereits in ihrer Kindheit stellte sie aus Zeitungspapier Schmuckperlen her. Jahre später entwickelte sie im Rahmen ihres künstlerischen Schaffens zunächst Prototypen von Perlen, die sie seither in großer Zahl reproduziert. Dabei nimmt die Künstlerin in der Auswahl der Papiere Bezug auf die zunächst in Skizzen festgelegte Komposition, in der die Perlen Verwendung finden sollen. Neben Zeitungspapier werden aufgrund ihrer spezifischen Farbgebung Freizeitmagazine und Frauenzeitschriften verwertet. In jüngerer Zeit experimentiert die Künstlerin mit durchgefärbten Tonpapieren. Die Perlen haben stets die Form länglicher, gebauchter Röllchen, in der bildlichen Gestaltung kommen sie als Module zum Einsatz. Bereits aus der Gleichförmigkeit dieser gestalterischen Elemente lassen sich kompositorische Ansätze ableiten. So resultiert eine orthogonale Bildstruktur aus der Anordnung der länglichen Papierperlen in der Horizontale und Vertikalen. Als Block dicht nebeneinander platziert, füllen sie die Bildfläche vollständig aus. Vertikale Bahnen aus Perlen, die mit ihren Schmalseiten aneinander gelegt sind, gliedern dann das rechtwinklig angelegte Feld, das durch die verwendeten Papiere bereits in sich malerisch erschlossen ist. Dabei spielt das Zufallsprinzip eine wesentliche Rolle. In Bezug auf die Farbgebung gleicht keine Perle der anderen. Formale Gleichheit wird zwar durch die Art des Papiers und die Formgebung erreicht, doch steht die dem Motivdruck des Papiers geschuldete, variierende Farbigkeit dazu in reizvollem Kontrast. Strenge der Form und in gewissen Grenzen zufällig entstandene Farbgebung stehen auf gestalterischer Ebene in einem Spannungsverhältnis zueinander.

Ulrike Reichmann vertritt in der Werkgruppe der Papierperlen-Arbeiten, wie in anderen Bereichen ihres Schaffens, eine abstrakte Position. Geometrische Ordnungen stehen dabei im Zentrum ihres Interesses. Diese beziehen durch die Haptik und Körperhaftigkeit der Perlen stets Dreidimensionalität ein. Darüber hinaus jedoch erschließt die Künstlerin in einigen Arbeiten Raum durch die Anordnung der Bildelemente in Gebilden, die das Volumen einer Halbkugel markieren und auf einem Bildträger fixiert werden. Diese von einem zentralen Punkt ausgehenden, dreidimensional sternförmigen Anordnungen der Perlen bilden wiederum komplexe Bildmodule aus, die in parataktischen Reihungen nebeneinander gesetzt sein können oder aber die geometrische Grundordnung gleicher Formen durch Übermalung einzelner Elemente optisch aufbrechen. Rundformen finden auch in Gestalt ondulierender Konturen Eingang in die abstrakte Formensprache derjenigen Perlenbilder, die sich in der Fläche entfalten.

Figurative und gegenständliche Allusionen haben ebenfalls ihren Platz im Werk der Künstlerin. Dabei nimmt sie Abstraktionen von der menschlichen Gestalt in den Blick. Aus Papierperlen gelegte Silhouetten zweier Personen spielen, bedingt durch ihre weiße und bunte Farbgebung, darüber hinaus auf die Hautfarbe der Dargestellten an. Inhaltliche Bezugnahmen auf sichtbare Wirklichkeit finden sich auch in einer Collage aus Papierperlen, die Regen und Wind bildlich transformieren. Diagonale Bahnen von Papierröllchen, in der Größe variierend, sind vor einen in Schichten aufgebauten Farbgrund gelegt. Gestalterische Dynamik und ein mit Mitteln der Perspektive erschlossener Tiefenraum bestimmen das Sujet.